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Roman: Geschehnisse um Licht und Finsternis

Christoph R. Reltir

beschreibt weitreichende Gedankenreisen

… manchmal auch Lyrik

Vogelfrei

Alfred Altmanns Geschichte ist undurchsichtig, bizarr. Ein Anruf treibt den Rentner um und lässt ihn rastlos werden. Die wollen ihn tot sehen. Dabei hat er keinem Böses getan. Haben sie Altmann, werden sie ihn verschwinden lassen, wie Stalder seinen Freund – auf Nimmerwiedersehen.

Nostalgie

Bittersüße Nostalgie
ergreift mich wieder,
verlässt mich nie.
Heute, früher
als eh und je
verdrehtes Empfinden
damals geschehen.
Tage der Sehnsucht,
Zeiten des Leids
erhalten Zuspruch,
wenn sie gedeiht.

- Reltir

Machtmensch

Dass Macht macht, dass wir Worte verdrehen.
Du uns und uns du sich nicht mehr verstehen.
Worte, die uns teilen, zu unterschiedlichen Teilen.
Paradox, groß-klein, Zeilen-Meilen, die einkeilen.
Härter zu fassen, als fassbar zu machen.
Wärter der Wörter, Ausrufezeichen krachen.
Zum Pol wird -emik und -itik,
was kann Mensch da machen.
Kein Platz für Kri-tik, Hysteriker*innen lachen.
Wer will das, der hat was – nicht das letzte Hemd.
Kein Mensch will das, das hat was,
so ist Mensch kein Mensch.

- Reltir

Wildbeuter

Als Person im Dickicht sitzend,
Hunde auf die Wild-Pirsch schickend.
Selbst zu träge zur Bewegung,
selten käm' es zur Begegnung,
wär da nicht der beste Freund,
der die Arbeit erledigt heut.
Das Wild in den Wahnsinn treibend,
kläffend auf den Fersen bleibend,
sie nimmt ihren Lauf, die Barbarei,
Jäger und Sammler Sinn entzweit.
Unnötige Wildbeuter.

- Reltir

Philancholie der Einsamkeit

Melancholie der Einsamkeit.
Philanthropie, die ›zweisam‹ schreit.
Weit weg ist sie, nur ich noch nicht.
Versteh' sie nie und doch zerbricht
Welt zu teilen, wer ist bereit?
Nicht zu greifen, viel zu weit.
Philancholie der Einsamkeit.

- Reltir

Wolke

Massenflucht in Tropfenform,
dicht gefügt, geht Mensch konform.
Flüchtig und massiv zugleich,
Mensch türmt sich auf – gestenreich.
Ruhige Masse lädt sich auf,
kalt-gefroren tauscht sich aus,
gemäßigte Haltung gibt es nicht,
bis die Wolke ganz aufbricht.
Blitz auf und Donner hasst,
Himmelsworte zeigen Last.
Blitz fordert gebeugtes Haupt,
Mensch sich sträubt und kaum vertraut.
Schwer ists, Mensch weiß nicht, wohin.
Zur Sonne, wo keine Wolken sind.

- Reltir

Tropfen

Trommelwirbel, Wetterfront
zieht vorüber und verkommt
hell und klar auf Fensterglas
zum Pinsel-Spiel, nun das wars.
In großer Zahl lullt er ein,
bloße Qual als Einzelteil.
Tropft von fern und tropft von nah,
dieser Tropfen ist stets da.
Tinnitus in Tropfenform,
sinnlos, stumpf, von vorn gebor'n.
Raubt den Schlaf, die ganze Nacht,
nimmt gefangen, wird zur Last.
Wetterfront setzt wieder ein.
Ach, so schön kann Regen sein.

- Reltir

Unendlich endlich

So oft sah ich nach draußen
weit in die Sternenferne.
Weit müsste ich da laufen
zum Kern und ihrer Wärme.
Tristes Dunkles dazwischen,
sich unendlich weit erstreckt,
Konkretes zu verwischen,
das Ende hält sich versteckt.
Wie einsam wär das Wandern
draußen in der Kälte bloß
von einem Stern zum andern,
ohne Sinn und ohne Trost.
Ich seh in deine Augen,
ein Herz, so unendlich groß.
Ein Narr nur würd's bedauern,
unsre Endlichkeit im Tod.

- Reltir

Aa

Die Öfen sind aus,
die Wärme geraubt.
Kaum einer streut sich
die Asche aufs Haupt.
Falsch wird geschrieben,
den Falschen vertraut.
Glaube betrieben,
der Unsinn verdaut.
Notdurft verrichtet,
Latrinen sind voll.
Notdurft verdichtet
gemeinsam als Volk.

- Reltir

Treib gut

Ruhigste Ruh' erlebe ich,
wo Wasser sich am Bootskiel bricht.
Sanft getragen im auf und ab,
bewegter Spiegel tausendfach
mischt Himmel-Erde aufgebracht.
Die Zeit vergeht, macht Wogen glatt.
Einsame Seele taucht hinab,
munter durch des Wassers Kälte.
Licht ganz oben sich erhellte.
Ich tauchte auf mit neuer Kraft.
Wo ist das Boot? – Nicht festgemacht.

- Reltir

Unnatur wunderbar

Bei den Feldern,
nah an dichten Wäldern.
Flickenteppich grün und zart,
wolkig, weich bis garstig, hart,
fein als Teppich, dünn gewebt
aufrecht hin zum Himmel steht.

Menschenhand, die formt.

Bänder langer Verwandtschaft
mäandern durch die Landschaft.
Leben üppig, frei –
gemach, geschmeidig zu gleich.
Pflanzen tanzen ihr Ballett,
Frosch und Grille als Duett.

Letzte Ader, die blutet.

Unnatur wunderbar.

- Reltir

Haiku

Umarmung,
die Kälte
liegt zwischen uns.

- Reltir

Haiku

Nackte Körper,
Duft in der Luft.

- Reltir

Haiku

Eiche am See,
die Sonne darüber,
hier lebe ich.

- Reltir

Moralapostel

Monotonie der Leichensäcke,
– so falsch.
Menscheneinkauf an jeder Ecke,
– so falsch.
Geld auf Unglück wetten,
– so falsch.
Tötend Leben retten,
– so falsch.
Moralverlust beweinen,
– so falsch.
Wärme zum Trotz kalt bleiben,
– so falsch.
Moralapostel,
– so falsch.

- Reltir

Eine Brevität

Sinnloses Gerede macht träge den Sinn voll.

- Reltir

Stille

Getöse – von fern und nah.
Verklungen die Stille, – war sie je da?
Ihr Dasein war zynisch, wurde mir klar.
Geräuschlos wär Wahnsinn und unmöglich wahr.
Es rauschen die Autos, Vögel, ein Sturm,
lauter Geschwätz, Mensch, Dorf, Elfenbeinturm.
Erlebt wird sie nie, Verzweiflung ist nah,
Manie-Apathie von hier nach da.

- Reltir

Porträt einer Karikatur

Übellaunig, grunzend, garstig,
stampfend, polternd, andersartig.
Schnauz wie Bürste glatt gekämmt.
Scheitel stramm mit Uni-Hemd.
Biedermann der Gartenhecke.
Horizont mit rechter Ecke.
Niemals ist sein O-Ton nett.
Jähzorn passt in sein Konzept.
Ein dicker Hals, der Kragen platzt.
Taten gipfeln im Rage-Akt.
Bellt die Worte, bäumt sich auf.
Schaum vorm Mund wie Gischt am Strand.
Unangenehm ist ihm genehm.
Solch Meinung wird ihm nie vergehn.

- Reltir

Joie de vivre

Aufgeraut
See bei Nacht
In mir
Tiefenbrand der Seele
Tausendfach mich quäle
Leben schwer geschichtet
Gewichtet
Richtet mir meinen Sinn, wenn ich nicht im Stande bin
Lebensfroh
Ich lebe so
Angestrengt klemm' ich mich zwischen Beginn und Ende
Ertrage das Unertragbare
Ungelenk abgelenkt, wohin ich mich auch wende
Suche, aber finde nie
Ruhe
Apathie
Was ist all das? – Alllast – Seit wann?
Jeher und weiter zurück
Jeden trifft das Lebensglück

- Reltir

Joie d'être

Schönes Leben
Heute
Will ich nichts anderes denken

- Reltir

Mit Gefühl

Zeig es mir.

Wir entzweien unser Hier, teilen es zu zweien,
weil die da wohl die anderen seien.
Ich will deine Tiefe, allein sie bist du.
Du als Gerade, keine schiefe Meinung dazu.
Ehrlichkeit, nicht den eigenen Sinn.
Mehr nicht.
Kein Verlauf.
Es bleibt nur Beginn.

Wahrhaftigkeit.

- Reltir

Haiku

Ich lieg wach
bei Tag,
Tagträume.

- Reltir

Haiku

Stille
bleibt stumm,
bis sie zerbricht.

- Reltir

Fenster zum Kosmos

Mattschwarzes Viereck schwebt über mir
Starr mich durch dich hinweg in die Weite
Gerahmt zeitloses seh ich in dir
Zeigst mir die andere Seite
Nicht Welt ist da draußen nur mehr Raum
Unfassbar anzuschau'n
Fenster zum Kosmos ganz klein
Gleich unserer Bedeutung im Sein
Starr mich durch dich hinfort

- Reltir

Das Bad

Aufgedreht fängt das Wasser sich auf,
steigt und gewinnt spielend an Höhe.
Wärme geht über auf kalten Grund, wie ich mich fühle,
den Nabel umspült mit tiefwarmem Leben –
und Zeit, die kann einem niemand nehmen.
Unbedeckt, der Rest geht ab, nichts ist von Not, bin gut getragen, versöhnt.
Die Lüftung als Musik in meinen Ohren hält fest, was sich im Stillen verlöre.
Ich döse diesen herrlichen Zustand zwischen da sein und nicht.
Ein Tropfen auf meinem Gesicht.
Das Tor wird geöffnet zurück in die Welt,
wenn die Schwere des Lebens – Körper ganz leicht – auf einen zurückfällt.

- Reltir

Unter acht Milliarden

Ich liebe mit dir unsere Geschichte
Zeilen zu zweit, wir teilen Gedichte
Herztief gestimmt zueinander gewandt
Wir führen uns an einer Hand
Bescheidene Liebe, still und nicht laut
Fremd und vertraut sie der Reise dorthin, wo ich ich bin,
– nichts und alles bekannt
Traumfrei geträumt wird sie, fantasielos fantasiert
Sie hat es nicht nötig – sie wird
Trotzdem unglaublich, sie gefunden zu haben
Eine Liebe unter acht Milliarden

- Reltir

[ohne Titel]

Das Leben spinnt Fäden,
daraus Muster
– leise und fortan webt es sie.
Schwer und gar duster,
dann hell
– schweben wie nie.
Und zurück
– zum Hinken gebracht.
Entzückt gelächelt,
mal echt, mal schlecht
und nicht anders gekonnt.

Wir dröseln uns auf
am schönen Faden.
Versuchen es zumindest
an manchen Tagen.
Die Spindel dreht sich,
das Schiffchen fliegt,
trägt uns weiter und weiter,
bis die Sargdecke liegt.

- Reltir

Haiku

Fühl mich
kleine Bewegung
ganz anders.

- Reltir

Dunst

Dieser Dunst zieht um graue Zellen,
hinterlässt Lücken an manchen Stellen.
Nebulös umfasst er sie,
löscht Erinnerung aus, sie existierte nie.
Paralexie. Und umso mehr,
sie lastet auf uns, macht sich schwer.
Leichenberg, Erinnerungskrater, Bombenort.
Wir vergessen weiter, bürgern uns weg von dort.
Hier und da fällt ein Gedanke aus,
er war nah – jetzt sind die Öfen aus.
Lückenfüller werden aufgebaut,
dem Erinnerungsvermögen nicht vertraut,
bis der Dunst sich neu erhebt
und diese uns're Geschichte dreht.

- Reltir

Björk singt

Unter der Decke liegen
Und Björk singt: All is full of love
Wohlig umhüllt Seelen ertasten, Liebe spricht
Und Björk singt: All is full of love
Wir hauchen Gefühle und all is full of love
Tanzen weiter in den Morgen
Björk singt, wir empfangen
All is full of love

- Reltir

Kindertage

Leichte Kindheit
ganz im Jetzt
ohne Druck
ungehetzt
spiele munter
kunterbunt
lauter Stimmen
Kindermund
der Tag vorbei
ein Jahr wie drei
Zeit ist jung
ist unverbraucht
eine Erfahrung
leicht verdaut
bin ich müde
lass ich's sein
egal wo, ich schlafe ein

- Reltir

Ort der Gedanken

Lass ihn ankommen am Ort,
nicht hier und nicht dort – anderswo.
Er trägt sich mit hinfort
an den Platz der gedanklichen Dünen,
wo Kargheit auf ich trifft,
keine Ablenkung, kein Lichtblick, nur Sühne.
Da ist nichts, was entlastet.
Sie wogen hoch, er meint darin unterzugeh'n,
taucht nicht auf, sondern tiefer, Wunden entsteh'n,
schluckt tief die tristen Gefühle und schlägt auf sandigen Grund,
erstickt daran, schweigend, kriegt nicht aus dem Mund
die sinistren Gedanken aus dunkler Stund.

- Reltir

Stadtstreicher

Stadt des Hin und Hers
nicht geradlinig, stumm, stramm
sie liegt brach vor mir da
kitschlos, den Fassaden zum Trotz
flüchten in den Rhythmus der Straßenfluchten
hart gelebt, hier fällt das Menschsein auf
ungeschont, wer sich hier eine Seele wünscht
zwischen Glück und Tristesse
täglich neu auf- und untergeh'n
die Stadt lockt trotz allem uns Stadtstreicher an

- Reltir

Schwarzes Blatt und Tinte

Etwas beschreiben, das nicht beschrieben werden kann.
Schwarzes Blatt und Tinte, nur Ende, keinen Anfang, ohne Belang.
Den eigenen Wert verloren.
Aus.

- Reltir

Christoph R. Reltir

Christoph R. Reltir, 1987 in Bern geboren, fasst fantastische Geschichten in Worte. Die Ideen dazu schöpft er aus dem alltäglichen Leben und weitreichenden Gedankenreisen. Er arbeitete als Grafiker und Architekt, studiert gegenwärtig im Zweitstudium Sozialwissenschaften und lebt in der Umgebung von Bern.